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KULTUR

Vielfalt und Lebendigkeit

Die ganze Stadt im Blick
Altona weiter vorn

Gabi Dobusch

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Feministisch aus der Krise - Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gleichstellung von Frauen

Frauen sind von den Auswirkungen der Corona-Pandemie in diversen Bereichen stärker betroffen als Männer und die Herausforderungen der Pandemie wurden zu einem großen Teil von Frauen getragen. Knapp drei Viertel der Beschäftigten in den als systemrelevant erkannten Berufen sind Frauen, deren Tätigkeit oft unterdurchschnittlich bezahlt wird. Gleichzeitig haben überdurchschnittlich viele Frauen während der Pandemie ihren Job verloren. Oftmals stecken zudem Frauen in der, durch das derzeitige Lohnsteuersystem begünstigten, Teilzeit-Falle und arbeiten nur in Teilzeit oder auf Minijob-Basis, während Männer häufiger Vollzeitstellen innehaben. Verliert eine Arbeitnehmerin in Teilzeit nun ihre Stelle oder muss Kurzarbeiter:innen-Geld beziehen, fallen diese Leistungen durch die ungleiche Lohnsteuer geringer aus. Die Ampel-Koalition auf Bundesebene hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Steuersystem an dieser Stelle zu reformieren.

Aber auch die Einkommensverluste von Frauen, die selbstständig tätig sind, waren während der Corona-Krise mit einem Anteil von 63 Prozent deutlich höher im Vergleich zu denen von Männern (47 Prozent). Die unterschiedliche Höhe der Einkommen in einer Partnerschaft ist gleichstellungspolitisch bedeutsam, da Frauen bei Aushandlungsprozessen in der Partnerschaft, etwa über die Verwendung des Einkommens, so in eine systematisch schwächere Verhandlungsposition kommen können, wenn sie weniger zum Gesamteinkommen beitragen. Auch aus diesem Grund gilt es, langfristige Folgen durch die Corona-Pandemie für die Erwerbsverläufe von Frauen zu vermeiden.

Die vielfältigen Hilfemaßnahmen auf Bundes- und Landesebene konnten hier trotz des vorausschauenden Bürgerschaftsbeschlusses, nach dem die Gleichberechtigung der Geschlechter bei Antragsverfahren für Hilfefonds zum Tragen kommen muss, nicht maßgeblich für Ausgleich sorgen.

Kinderbetreuungsaufgaben und Pflegearbeit sind, auch aufgrund finanzieller Erwägungen, während der Pandemie zu einem großen Teil von Frauen geleistet worden. In diesem Bereich gibt es Veränderungen zu der Zeit vor der Corona-Pandemie. So gaben in neuesten Studien 19 Prozent der Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern an, ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung verringert zu haben. Nur 6 Prozent der Männer taten es ihnen gleich. Deswegen ist es auch aus gleichstellungspolitischer Sicht wichtig, dass Schulschließungen und die Schließung von Kindertagesstätten auch in weiteren Pandemie-Wellen nur als äußerstes Mittel gewählt werden. Offene Schulen sind nicht nur für Kinder und Jugendliche existenziell, sondern auch für die die Kinderbetreuung übernehmenden Elternteile, meist Mütter, und in besonderer Weise für alleinerziehende Mütter, von großer Bedeutung. Dass Hamburg die Notbetreuung nicht an starre Kriterien geknüpft hat sondern das Kindeswohl und das Wohl der Familien in den Fokus gerückt hat, sodass Kinder auch in die Notbetreuung gehen konnten, wenn die Eltern aus individuellen Gründen Unterstützung bei der Betreuung brauchten, war gut und wichtig. Viele Familien und insbesondere viele Mütter waren und sind im Verlauf der Pandemie häufig am Rande ihre Kräfte, Erschöpfung ist ein Zustand, der vielen Müttern leider sehr vertraut vorkommt. Kinderbetreuung ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und wir dürfen Familien, wir dürfen Mütter damit nicht alleine lassen.

Bei einer Geburt sollten Gebärende immer die Möglichkeit haben, sich durch eine vertraute Person begleiten zu lassen, die sie, auch emotional, unterstützt. Auch wenn dies in Hamburg im Verlauf der Pandemie nie pauschal ausgeschlossen war, gab es einzelne Situationen, in denen eine Begleitung nicht möglich war. Viele Schwangere waren in Sorge, bei der Geburt alleine zu sein und einige versetzte dies regelrecht in Panik. Es ist wichtig, dass Schwangere die Sicherheit haben, immer eine Begleitperson zur Geburt mit in die Klinik nehmen zu dürfen.

Die Digitalisierung der Verwaltung und der Gesellschaft hat durch die Corona-Pandemie einen enormen Schub erhalten, was durchaus begrüßenswert ist. Zugleich stellen Studien jedoch fest, dass es einen Digital Gender Gap gibt: Zwar befassen sich im Zuge der Corona-Pandemie mehr Frauen mit dem Thema Digitalisierung und auch der Alltag von Frauen wird immer digitaler, trotzdem gibt es weiterhin eklatante Unterschiede. Laut neusten Studien glauben nur 50 Prozent der Frauen, dass sie von der Digitalisierung profitieren, bei Frauen mit niedriger Bildung liegt die Nutzerinnen-Quote des Internets bei nur 61 Prozent. Dies stellt besonders diese Frauen vor Herausforderungen, bei deren Bewältigung sie unterstützt werden müssen, um beispielsweise eine schnelle Rückkehr in die Berufstätigkeit zu erleichtern.

Durch die zeitweise pandemiebedingt erforderliche Reduzierung der sozialen Kontakte und die verständliche Angst vor einer Ansteckung sind Seniorinnen oftmals in eine Spirale von Rückzug und Einsamkeit geraten. Da Frauen geringere Renten beziehen und stärker von Altersarmut betroffen sind, fehlen oftmals auch die Möglichkeiten, fehlende Kontakte beispielsweise durch digitale Kommunikation auszugleichen. Ein Smartphone oder Tablet sowie WLAN in der eigenen Wohnung sind insbesondere für alleinstehende Frauen im hohen Alter kein Standard und auch in vielen Fällen zu teuer. Die Einkommenssituation ist von besonderer Bedeutung für die Verwirklichung digitaler Teilhabe. Im Regelbedarf für Grundsicherung im Alter nach SGB XII ist sie unzureichend abgedeckt.

Hamburg engagiert sich auf unterschiedlichen Ebenen für die Gleichstellung von Frauen und Männern. So erfolgt derzeit die Fortschreibung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms (GPR), welches das Handeln des Senats in diesem Themenfeld bündelt und strukturiert. Die Fortschreibung und Aktualisierung des GPR wird von der Bürgerschaft sehr begrüßt. Auch die Berichte zum Hamburgischen Gremienbesetzungsgesetz zeigen, dass es Entwicklungen zu mehr Gleichberechtigung gibt.

Sowohl in der abgeschlossenen Förderperiode des Europäischen Sozialfonds (ESF) als auch in der aktuellen Förderperiode des ESF+, die eine Laufzeit bis 2027 umfasst, fördert Hamburg eine Vielzahl an Projekten, die Frauen unterstützen und fördern. Auch die React-EU-Mittel sowie die Mittel aus dem Hamburger Wirtschaftsstabilisierungsprogramms (HWSP) zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie wurden zum Teil genutzt, um Arbeitsmarkt-Projekte speziell für Frauen zu unterstützen. Die Berichte zum Corona-Arbeitsmarktprogramm zeigen, dass die Angebote zum Teil überproportional gut von Frauen in Anspruch genommen werden.

Durch die Belastungen der Pandemie und insbesondere in Phasen des Lockdowns haben sich Krisen in Partnerschaft und Familien oftmals verschärft. Opfer von Partnergewalt und Übergriffen innerhalb von Familien waren von den Pandemiefolgen daher besonders betroffen. Deswegen hat die Hamburgische Bürgerschaft bereits mit der Drs. 22/4261 beschlossen, die Mittel für die Fachberatungsstellen aufzustocken und die Personalsituation der Beratungseinrichtungen unter anderem mit Blick auf die Folgewirkungen der Corona-Pandemie zu prüfen und eine auskömmliche Finanzierung auch für die Nach-Corona-Zeit vorzubereiten.

Die Bürgerschaft nimmt die Befunde ernst und stellt sich ihrem verfassungsgemäßen Auftrag zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern gemäß Artikel 3, Absatz 2, in dem die Aufgabe beschrieben wird, "die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern". Neben den schon vorhandenen Instrumenten bittet die Bürgerschaft den Senat um weiteres Engagement, um die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu verwirklichen.


Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,


1) sich im Rahmen der bereits bestehenden Branchendialoge mit den Sozialpartnern, den Kammern sowie der Agentur für Arbeit Hamburg (Agentur für Arbeit) und dem Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) über die Arbeitsmarkteffekte der Pandemie und die Qualifizierungsbedarfe insbesondere auch der Frauen auszutauschen und sich über notwendige ergänzende und ggf. zielgruppenspezifische Maßnahmen zu verständigen,

2) gemeinsam mit der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter die Teilhabe und Wirkung von aktivierenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für Frauen auszuwerten und gegebenenfalls anzupassen sowie Frauen verstärkt entsprechende öffentlichkeitswirksame Maßnahmen begleitende Informationen und Beratungsangebote anzubieten, um einer Verfestigung von Arbeitslosigkeit oder einem Rückzug vom Arbeitsmarkt zu Gunsten der Sorgearbeit entgegenzuwirken und den Wiedereinstieg zu erleichtern,

3) dabei auch die ersten Ergebnisse aus der Inanspruchnahme der Angebote aus dem Corona-Arbeitsmarktprogramm zu berücksichtigen und gute Angebote zu verstetigen,

4) zu diesem Zweck auch im Rahmen der Hamburger Weiterbildungsstrategie vielfältige Weiterbildungsstrukturen zu stärken und Synergien zu nutzen, um die berufliche Weiterbildung von Frauen sowohl generell als auch mit speziellen Maßnahmen, zum Beispiel für Frauen in Teilzeit, zu fördern und dabei auch die Gruppe der soloselbständigen und alleinerziehenden Frauen in den Blick zu nehmen,

5) darauf hinzuwirken, dass bei der Agentur für Arbeit zukünftig Arbeitsausfall und Höhe des Kurzarbeiter:innengeldes geschlechtsspezifisch erfasst und statistisch auswertbar werden.

6) sich auf Bundesebene

a) dafür einzusetzen, dass die Berechnung der Einkommensteuer geschlechtergerecht weiterentwickelt wird,

b) dafür einzusetzen, dass Lohnersatzleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld oder Kurzarbeiter:innengeld ohne verdeckte Diskriminierung berechnet werden.

7) sich weiterhin für die Förderung der Gleichstellung von Frauen in EU-Projekten einzusetzen und Fördermittel für gleichstellungspolitische Projekte auf EU-Ebene einzuwerben,

8) gemeinsam mit den Partnern der (Finanz- und Kreativ-)Wirtschaft zu prüfen, wie zukünftig situationsspezifische Hilfsmaßnahmen wie aktuell beispielsweise die Corona-Soforthilfen des Hamburger Schutzschirms (HKL, HCS, HSF, CRF) sowie Daten zu Firmen(neu)- und Start-up-Gründungen bei allen Rechtsformen genderbezogen erhoben und ausgewertet werden können,

9) Förderprogramme der Wirtschaftsförderung im Sinne der gleichstellungswirksamen Haushaltssteuerung zu überprüfen und weiterzuentwickeln,

10) die Belange von Frauen bei der Digitalisierung noch stärker zu berücksichtigen und ein Förderprogramm für Frauen im erwerbsfähigen Alter zu entwickeln, welches zum Ziel hat, insbesondere solche Frauen bei der Digitalisierung zu unterstützen, die aktuell das Internet nicht regelmäßig nutzen,

11) sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, die immer stärker zunehmende Digitalisierung aller Lebenswelten bei der Ermittlung der Regelbedarfe stärker zu berücksichtigen oder einen eigenen Leistungsanspruch auf einen Zuschuss für eine digitale Grundausstattung mit Hard- und Software neben dem Regelbedarf zu schaffen,

12) die geschlechtergerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit im Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm verstärkt in den Fokus zu nehmen,

13) dafür Sorge zu tragen, dass Frauen immer die Möglichkeit haben, bei einer Geburt vertraute Begleitpersonen dabei zu haben und auch von diesen nach der Geburt im Wochenbett in der Klinik begleitet oder besucht werden können,

14) der Bürgerschaft bis zum 31.12.2023 zu berichten.

Antrag

Hamburgische Bürgerschaft
10.08.2022

Von den Abgeordneten:
Kazim Abaci, Julia Barth-Dworzynski, Ksenija Bekeris, Gabi Dobusch, Danial Ilkhanipour, Regina Jäck, Annkathrin Kammeyer, Jan Koltze, Simon Kuchinke, Iftikhar Malik, Kirsten Martens, Baris Önes, Britta Schlage, Ali Simsek, Ekkehard Wysocki



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