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TOLERANZ

Neben und miteinander

Die ganze Stadt im Blick
Altona weiter vorn

Gabi Dobusch

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Technische Assistenzsysteme für ein barrierefreies Umfeld

Ambient Assisted Living-Systeme (manchmal auch Active Assisted Living), abgekürzt AAL, sind technische Systeme, die das Leben eingeschränkter Menschen in ihrem Wohnumfeld erleichtern. Der Zweck der AAL-Systemen ist es, das Wohnumfeld alltagsunterstützend und barrierefrei zu gestalten, sodass dank der technischen Assistenz ein selbstbestimmtes Leben und der Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglicht wird. Ins Deutsche übersetzt kann AAL sowohl für "Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben" als auch für "Alltagstaugliche Assistenzlösungen" (AAL) stehen.

Durch die Modularität (Baustein- oder Baukastenprinzip) können die Kosten minimiert werden, indem nur notwendige Komponenten installiert und das AAL-System individuell den Bedürfnissen der Nutzer:innen angepasst wird. Dadurch sind die Systeme jederzeit nachrüstbar und erweiterbar. AAL-Systeme zeichnen sich außerdem durch eine einfache und intuitive Handhabung, die nur wenig technische Kenntnisse voraussetzt, aus.

Beispiele für technische Assistenzsysteme sind automatische Herdabschaltung, Medikamentenerinnerung, Sensoren zur Sturzerkennung, automatisches Öffnen und Schließen von Vorhängen, Hilferufanlagen, smarte Trinkflaschen oder Betten mit Aufstehhilfe. Auch optische Rauchmelder, die mittlerweile in den meisten Privathaushalten ihre Anwendung gefunden haben, sind eine Komponente der AAL-Systeme. Einen besonderen Bereich bildet AAL für Menschen mit Demenz bzw. Alzheimer. Hier stehen nicht nur Sicherheitsmaßnahmen im Vordergrund, sondern auch Maßnahmen zur Verbesserung von Orientierung und Kommunikation.

AAL-Systeme richten sich prinzipiell an Menschen aller Altersgruppen, können jedoch gerade auch in einer alternden Gesellschaft eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weist auf die große Bedeutung der AAL-Systeme hin, wenn es darum geht, die Herausforderungen des demografischen und sozialen Wandels für die Pflege zu meistern.

Obwohl technische Assistenzsysteme nachweislich helfen könnten, mehr Sicherheit und Unabhängigkeit auch im Alter zu ermöglichen und damit auch das Pflegesystem zu entlasten, sind sie noch wenig verbreitet. Gründe dafür sind unter anderem: niedrige Akzeptanz technikunterstützter Wohnkonzepte in der älteren Bevölkerung, fehlende Beratung, mangelnde Interoperabilität verfügbarer Systeme (das Fehlen einheitlicher Schnittstellen und Standards) und Unklarheiten über Finanzierungswege.

Vor allem die Kosten für den aufwendigen Umbau bereits bestehender Wohneinheiten können sehr hoch ausfallen, wenn eine oder mehrere der AAL-Komponenten diesen erfordern. Für den Einbau von AAL-Systemen werden von der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen des Programms "Altersgerecht Umbauen" Kredite vergeben.

In Hamburg gibt es zudem mit dem "Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg" bereits eine unter anderem von der Sozialbehörde getragene Institution, die für das Thema sensibilisiert (z. B. durch öffentliche Informationsveranstaltungen) und auch individuelle Beratung zu AAL-Systemen anbietet.

Ein im Jahr 2019 vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass technische Assistenzsysteme einen erheblichen Beitrag im Rahmen der Pflege und für ein selbstbestimmtes Leben leisten könnten, dass das Potenzial aber noch ungenutzt bleibt, weil aufgrund unzureichender rechtlicher Regelungen Kranken- und Pflegeversicherungen selten Kosten für AAL-Systeme übernehmen. Daher rührt die Forderung, AAL-Systeme als Pflegehilfsmittel einzuordnen. Nach und nach erweitern Pflegeversicherungen ihre Verzeichnisse um AAL-Komponenten.

Im Gegensatz zu den technischen Assistenzsystemen, die in Zukunft voraussichtlich erschwinglicher sein werden, wird der Wohnungsumbau teuer bleiben. Aus diesem Grund lohnt es sich, bei Neubauten auf die Kompatibilität mit AAL-Systemen zu achten und für ausreichend Stromsteckdosen und Leerröhren zu sorgen, damit sich eine spätere Nachrüstung so einfach wie möglich gestaltet.

Eine weitere Hürde bei der Verbreitung technischer Assistenzsystemen ist die Unsicherheit bezüglich des ethischen Umgangs mit bestimmten Komponenten, so etwa bezüglich der Überwachung und Ortung Demenzkranker. Auch Datenschutz und Datensicherheit spielen hier eine zentrale Rolle. Der Datenfluss muss kontrolliert werden. Eine Anonymisierung der Daten soll verhindern, dass Persönlichkeits- oder Verhaltensprofile erstellt werden können.

In vielen Bundesländern sind in den letzten Jahren Kompetenzzentren für AAL-Systeme aufgebaut worden. Auch in Hamburg hält das Beratungszentrum für technische Hilfen und Wohnraumanpassung im Haus für Barrierefreiheit das Beratungsangebot "Smart Wohnen und Pflegen" bereit. Dieses Angebot erfüllt eine wichtige Funktion für die Pflege- und Immobilienwirtschaft sowie für alle Hamburger:innen, die bereits auf der Suche nach passenden individuellen Lösungen für den privaten Haushalt sind oder in Zukunft sein werden.


Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. zusammen mit wichtigen Akteuren wie Wohnungsunternehmen, Vermietervereinigungen, Pflegekassen, Krankenkassen, Kreditanstalt für Wiederaufbau, Investitions-und Förderbank (IFB) mögliche Geschäfts- und Finanzierungsmodelle für den Einbau von AAL-Systemen in privaten Haushalten zu prüfen;

2. zu prüfen, welche Maßnahmen beim Bau von Wohnungen für Senior:innen und barrierefreien Wohnungen, Servicewohnanlagen und Sonderwohnformen ergriffen werden können (z. B. viele Kabelkanäle / Leerrohre, ausreichende Anzahl an Stromsteckdosen, gut erreichbare LAN-Steckdosen z. B. im Schlafzimmer unter dem Pflegebett, 5-adrige statt 3-adriger Kabel, tiefere Unterputzdosen oder Platz für tiefere Unterputzdosen z. B. in Trockenbauwänden, eine 220 Volt-Verteilerdose oberhalb der Wohnungseingangstür etc.) um ggf. spätere, aufwendigere bauliche Anpassungsmaßnahmen zu vermeiden,

3. zu prüfen, ob eine Förderung von Mehrkosten im Neubau (gegenüber den Kosten einer konventionellen Bauweise) zur bauseitigen Vorbereitung von - im Bedarfsfall nachzurüstenden - AAL-Maßnahmen im Rahmen der bestehenden IFB-Förderung für den Mietwohnungsneubau im 1. und 2. Förderweg sowie für den Neubau von Sonderwohnformen möglich ist und nach erfolgreicher Prüfung in die IFB-Förderung zu integrieren sowie zu prüfen, ob eine Förderung von baulichen AAL-Maßnahmen (wie zum Beispiel der Einbau einer nachträglichen automatisierten Fensteröffnung oder einer automatischen Herdabschaltung) ergänzend im Rahmen der bestehenden IFB-Förderung für den barrierefreien Umbau von Bestandswohnungen möglich ist und nach erfolgreicher Prüfung in die IFB-Förderung zu integrieren;

4. ältere und pflegebedürftige Menschen, deren Angehörige sowie die Wohnungswirtschaft und Pflegedienstleister im Rahmen einer Aufklärungskampagne über die Möglichkeiten der AAL-Systeme zu informieren;

5. die Inanspruchnahme und die Kapazität des Beratungsangebots "Smart Wohnen und Pflegen" für digitale Assistenzsysteme im Haus der Barrierefreiheit für Privathaushalte sowie für die Pflege- und Immobilienwirtschaft zu evaluieren und bedarfsgerecht fortzuführen;

6. der Bürgerschaft bis zum 01. Oktober 2023 zu berichten.

Antrag

Hamburgische Bürgerschaft
24.05.2023

Von den Abgeordneten:
Julia Barth-Dworzynski, Matthias Czech, Gabi Dobusch, Danial Ilkhanipour, Regina Jäck, Sabine Jansen, Dirk Kienscherf, Martina Koeppen, Simon Kuchinke, Iftikhar Malik, Baris Önes, Christel Oldenburg, Lars Pochnicht, Britta Schlage, Michael Weinreich, Dagmar Wiedemann, Ekkehard Wysocki



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