Am 19. September 2024 hat der Ausschuss für Gleichstellung und Antidiskriminierung der Bürgerschaft eine Selbstbefassung gemäß § 53 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft zum Thema "Reproduktive Gerechtigkeit" durchgeführt. Anlass der Selbstbefassung waren die Situation und die Unterstützungsmöglichkeiten für ungewollt Schwangere in Hamburg.
Die Lage ungewollt Schwangerer wird in Deutschland maßgeblich durch die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch (§ 218 StGB) bestimmt. Auf der Grundlage des im April 2024 vorgelegten Abschlussberichtes der von der Bundesregierung einberufenen Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin wurde in der Anhörung aufgezeigt, dass die aktuelle Regelung im Strafgesetzbuch im Kern diskriminierend ist und internationalen sowie europäischen Menschenrechtsstandards widerspricht.
Abschlussbericht der Kommission der Bundesregierung zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin
Die Einberufung der Kommission war notwendig, da der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland restriktiv geregelt ist und Deutschland dafür im Mai 2023 vom UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau gerügt wurde. Die Kommission der Bundesregierung, bestehend aus Expert*innen verschiedener Fachrichtungen, empfahl einstimmig, Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft zu legalisieren.
Ergebnisse der Anhörung
Im Verlauf der Anhörung wurde von den eingeladenen Expertinnen umfangreich und detailliert die jetzige problematische Praxis und die Folgen der bestehenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch dargestellt.
Der geltende § 218 StGB führt zu Versorgungslücken in mehreren Hinsichten. Bis heute ist der Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche für viele Betroffene nicht ohne Hindernisse. So gibt es bisher keine umfassende Übersicht über Einrichtungen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Ebenso sind weitere Informationen für ungewollt Schwangere nur unzureichend verfügbar, liegen vielfach nur auf Deutsch vor und kaum in leichter Sprache. Die strafrechtlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch erschweren Frauen sowie trans*, inter und nicht binären Menschen auch den offenen Umgang mit ungewollten Schwangerschaften, die ja vielfach noch mit weiteren Problemen und Konflikten einhergehen. Zudem habe die derzeit im Strafrecht verankerte Regelung negative Rückwirkungen auf die medizinische Ausbildung, da der Schwangerschaftsabbruch nur unzureichend im Ausbildungsprogramm des Medizinstudiums verankert ist, obwohl der Schwangerschaftsabbruch zu den häufigsten gynäkologischen Eingriffen gehört. Dasselbe gilt für das Angebot an medizinischen Weiterbildungsangeboten. Und beides führt zu einem Mangel an qualifizierten Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen können. Hinzu kommen weitere strukturelle Gründe, da viele Kliniken und Ärzt*innen die Durchführung von Abbrüchen aufgrund des rechtlichen Risikos und des damit verbundenen Verwaltungsaufwands scheuen. Die Herauslösung der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch würde es deshalb erleichtern, die Versorgungssituation zu verbessern und den Zugang zu sicheren Abbrüchen zu erleichtern.
An die tatsächlichen Realitäten angepasst werden sollte auch die im Hamburgischen Schwangerenberatungsstellenförderungsgesetz festgelegte Quote der als Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle anerkannten Ärzt*innen. Nach den geltenden Vorgaben soll ein Drittel der Beratungen von anerkannten Ärzt*innen geleistet werden. Im Ergebnis der Anhörung vor dem Gleichstellungsausschuss wurde aus mehreren Perspektiven deutlich, dass die jetzige restriktive Regelung zum Schwangerschaftsabbruch aus grundsätzlich rechtlichen Erwägungen nicht haltbar ist und auch faktisch nicht dazu beiträgt, Abbrüche zu verhindern. Eine Neuregelung des § 218 Strafgesetzbuch im Sinne einer Entkriminalisierung werde dazu beitragen, ungewollte Schwangerschaften durch verbesserte Aufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln zu reduzieren.
Unabhängig von der Neuregelung auf Bundesebene ist es also angebracht, in Hamburg tätig zu werden, um die Information zu Beratungsangeboten und Schwangerschaftsabbrüchen sowie deren Durchführung für alle, insbesondere vulnerable Gruppen, besser zugänglich zu machen. Ein weiterer wertvoller Beitrag zu einer besseren Versorgung von allen, die eine Schwangerschaft abbrechen, würde eine bessere Forschungslage zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in Hamburg leisten. Ein erster Schritt dafür wäre die Auswertung der im UKE erarbeiteten "CarePreg-Studie" für Hamburg.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. sich auf Bundesebene einzusetzen für
1.1. eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine Fristenregelung außerhalb des Strafgesetzbuches;
1.2. die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von Ärzt*innen in Hinsicht auf die medizinische Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen;
2. das Beratungsangebot in der Schwangerenkonfliktberatung in seinen verschiedenen Bestandteilen (Beratungsstellen und Praxen) darzustellen und zu prüfen, ob es bedarfsgerecht ist;
3. zu prüfen, ob der Versorgungsanteil von Ärzt*innen in der Schwangerschaftskonfliktberatung von 1/3 noch der aktuellen Versorgungsstruktur und den tatsächlichen Bedarfen entspricht und ob eine Absenkung des Versorgungsanteils durch Ärzt*innen im Hamburgischen Schwangerenberatungsstellenförderungsgesetz (SchFG) sinnvoll wäre;
4. zu prüfen, inwiefern eine bessere Vernetzung von Praxis (Beratungsstellen, Ärzt*innenpraxen) und Forschung zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in Hamburg umgesetzt werden kann;
5. die Studie "CarePreg" des UKE für Hamburg auszuwerten;
6. der Bürgerschaft bis zum 31.12.2025 zu berichten.
Hamburgische Bürgerschaft
14.01.2025
Von den Abgeordneten:
Julia Barth-Dworzynski, Gabi Dobusch, Danial Ilkhanipour, Regina Jäck, Simon Kuchinke, Iftikhar Malik, Baris Önes, Britta Schlage, Ekkehard Wysocki