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GLEICHSTELLUNG

Gleiche Arbeit - gleicher Lohn

Die ganze Stadt im Blick
Altona weiter vorn

Gabi Dobusch

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Deserteursdenkmal - Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz in Hamburg - Neue Formen des Gedenkens, vernachlässigte Aspekte, Fortentwicklung des Gesamtkonzeptes für Orte des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 in Hamburg

Wie im Rahmen einer Expertinnen- und Expertenanhörung des Kulturausschusses im April 2012 festgestellt wurde, ist die politische Aufarbeitung der Thematik der Deserteure im Zweiten Weltkrieg und der Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz insgesamt nicht abgeschlossen. Die Geschichte der mit 15 Kriegsgerichten, dem Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Altona und den Hinrichtungsstätten auf dem Wehrmachtsschießplatz Höltigbaum in Rahlstedt sowie im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis bedeutenden Hamburger Wehrmachtsjustiz samt ihrer Opfer ist bisher wenig erforscht und in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Alle ‚Fahnenflüchtigen’ galten lange Zeit pauschal als "Vaterlandsverräter" und wurden nicht als Opfer des NS-Regimes anerkannt.
Die Expertinnen und Experten der Anhörung waren der Frage nachgegangen, welche Bedeutung ein Deserteursdenkmal haben kann. Dabei wurde herausgestellt, dass Denkmäler grundsätzlich ein Teil eines Netzes von Erinnerungsdiskursen und vielschichtiger Diskussions- und Partizipationsprozesse sind, die auch der Aufklärung und Reflexion dienen. Denkmäler sind sichtbare Orte inmitten der Städte, die den angesprochenen Gegenstand historisieren. Die Verwirklichung von Deserteursdenkmälern sollte daher die sehr unterschiedlichen individuellen Motive der Deserteure und anderer Opfergruppen und die damaligen gesellschaftlichen Strukturen berücksichtigen.
Die Stadt Hamburg sollte sich endlich seiner Verantwortung als bedeutender Standort der nationalsozialistischen Militärjustiz stellen und deren Opfer angemessen gedenken. So waren sich alle Expertinnen und Experten der Anhörung und so sind sich alle Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft einig: Erinnerungen verschwimmen, Betrachterinnen und Betrachter haben sehr unterschiedliche persönliche Zugänge zu Erinnerungsorten (beispielsweise aufgrund von Generationszugehörigkeit, Sprache oder Migrationshintergrund), und Denkmäler sollten Personen(gruppen) oder Ereignissen nicht monokausal gewidmet sein.
Ein mögliches Deserteursdenkmal in Hamburg, so die einhellige Auffassung von Expertinnen und Experten in der Anhörung wie auch der Bürgerschaftsfraktionen, sollte mit dem sogenannten "76er Denkmal" am Dammtor/Stephansplatz, das trotz der Mitte der 1980er Jahre unternommenen Anstrengungen im Kontext mit dem Gegendenkmal von Alfred Hrdlicka nichts von seiner Problematik verloren hat, in einem Zusammenhang stehen und dieses mit einbeziehen. Nichtsdestotrotz sollte, nach Ansicht einiger Expertinnen und Experten keine starre Festlegung auf diesen einen Ort und die konkrete Ausführung erfolgen, um eine freie Gestaltung des Denkmales nicht einzuschränken. Die Realisierung sollte vielmehr auf Grundlage eines offenen Ausschreibungsverfahrens erfolgen.
Die Beschäftigung mit einem Deserteursdenkmal ist nur ein Teil einer umfassenden Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und dessen Bedeutung für die Stadt Hamburg. An vielen Orten wird an die Gräueltaten unter dem Nazi-Regime erinnert, und gleichzeitig fördert die Stadt das aktive Gedenken an die Opfer. In der Bestandsaufnahme von 2008 werden insgesamt 75 Gedenkstätten für Opfer des NS-Regimes aufgelistet. Noch tragen vor allem Zeitzeugen dazu bei, die Erinnerung an die Nazi-Herrschaft mitsamt ihren schrecklichen Folgen wach zu halten und uns an unsere Verantwortung zu gemahnen, eine solche politische Fehlentwicklung hin zu menschenverachtender, unmenschlicher und tödlicher Politik nie wieder zuzulassen. Zukünftig werden die Orte mehr und mehr für sich sprechen müssen.
In den letzten Jahren wurden auch andere Formen des Erinnerns entwickelt, die auf mediale und auf interaktive Art und Weise dazu beitragen, die Erinnerung an die Opfer lebendig zu halten. Gerade in der Kombination von realen Orten mit medialer Unterstützung liegen Chancen für eine Vermittlung des Anliegens auch an zukünftige Generationen. Internet und Soziale Medien bewirken Veränderungen in der Erinnerungskultur sowie der Geschichtsvermittlung und -forschung, die bisher kaum Beachtung in der breiten Öffentlichkeit fanden und noch weitgehend unerforscht sind. Es ist zu fragen, inwieweit durch interaktives Vorgehen, Intermedialität und neue Formen der Kommunikation neue historische Narrative geschaffen werden und inwieweit sich dadurch auch die Rezeption von Geschichte verändert. Möglichkeiten und Grenzen der neuen Ansätze für die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und für die Erinnerungskultur zu Holocaust und Zwangsarbeit in Hamburg sollen bei der Förderung der Erinnerungskultur ausgelotet und im Zusammenwirken von Behörden, staatlichen wie privaten Einrichtungen und Initiativen im gesellschaftlichen Dialog gestaltet und fortentwickelt werden.

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. zur Realisierung des Projektes "Deserteursdenkmal für die Oper der NS-Wehrmachtsjustiz" unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung des Kulturausschusses im April 2012 einen Beirat und eine Auswahlkommission zu gründen. Der Beirat soll verbindliche Kriterien für ein Projekt "Deserteursdenkmal" und die Ausschreibungsbedingungen festlegen und mit Vertretern aus den Bereichen der politischen Parteien, der Wissenschaft, der Kunst und Architektur und den Verbänden besetzt werden. Ein Vorschlag zur Besetzung des Beirats soll dem Kulturausschuss zur Sitzung am 7. August 2012 vorgelegt werden. Die Vergabeentscheidung sollte durch eine Auswahlkommission, die aus dem Beirat heraus berufen werden kann, erfolgen. Die Anhörung hat den großen Forschungsbedarf aufgezeigt, daher gilt es Kooperationen mit Hochschulen und Stiftungen zur weiteren Erforschung der Geschichte der Wehrmachtsjustiz und ihrer Opfer zu prüfen. Die Höhe der notwendigen Mittelbereitstellung zur Realisierung eines Deserteursdenkmals wird durch den Senat geprüft und ein Vorschlag zur Finanzierung vorgelegt
2. ein Gesamtkonzept für den Einsatz alternativen Formen des Erinnerns und Gedenkens zu entwickeln, das auf mediale Unterstützung setzt, um sowohl zukünftige Generationen als auch - internationale - Besucherinnen und Besucher interaktiv in die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Hamburgs unter der Nazi-Herrschaft einzubeziehen. Dabei gilt es zu prüfen, inwieweit behördenübergreifend angemessene didaktische Konzepte erarbeitet werden können, die Informationen aufbereiten sowie eine Betreuung eines solchen Informationsangebots sicherstellen können;
3. zu prüfen, inwieweit die laufende Aktualisierung des Verzeichnisses der Hamburger Gedenkstätten sichergestellt und eine Applikation für Smartphones, die ein Auffinden der Orte erleichtert (vgl.: www.stolpersteine-hamburg.de), realisiert werden könnte. Zu prüfen ist ferner eine Kooperation mit dem Portal "Gedenkstätten des NS-Terrors" (www.gedenkstaetten-uebersicht.de) der Stiftung
Topographie des Terrors, die eine weltweite - allerdings lückenhafte - Übersicht von Gedenkstätten bietet;
4. das Projekt einer Gesamtschau des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Hamburg weiter zu verfolgen, des Weiteren zu prüfen, welche Standorte dafür geeignet sein könnten und inwiefern das Schicksal der verschiedenen Verfolgtengruppen sowie für bestimmte Gedenkorte relevante Themen in Hamburg angemessen dargestellt sind;
5. der Bürgerschaft bis zum 30.04.2013 zu berichten und einen konkreten Plan zur Realisierung vorzulegen.

Antrag

Hamburgische Bürgerschaft
13.06.2012

Von den Abgeordneten:
Gabi Dobusch, Gunnar Eisold, Birte Gutzki-Heitmann, Gerhard Lein, Christel Oldenburg, Mathias Petersen, Wolfgang Rose, Hansjörg Schmidt, Isabella Vértes-Schütter



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