Legale Schwangerschaftsabbrüche ermöglichen und §218 StGB abschaffen
Aktualisiert: 30.01.2012
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 22. Wahlperiode / 97. Sitzung vom Mittwoch 27.November 2024
'Herr Präsident, werte Abge-
ordnete! Hilfe, ich habe mir in der ersten Debatte
diese Anmeldung angeguckt: Freie Fahrt für Blech-
lawinen, Mauern, Billigstrom, Biodeutsche – ich
weiß es nicht. Ich gehe fest davon aus, dass diese
Vision, wie sie die AfD hier in den Raum gestellt
hat, keine Vision für die große Mehrheit der Ham-
burger und Hamburgerinnen ist, schon gar nicht für
letztere.
(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)
Wir setzen diesen kruden Ideen, diesem Stamm-
tischpopulismus unsere Vision einer verantwortli-
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 22. Wahlperiode - 97. Sitzung am 27. November 2024 7691
(Dirk Nockemann)
chen, demokratischen, gleichberechtigten und so-
zialen Gesellschaft entgegen.
(Zuruf)
Dazu gehören auch andere große Fragen des ge-
sellschaftlichen Zusammenlebens aller Bürger:in-
nen, wie die Reform des Paragrafen 218. Die
überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, an die
80 Prozent, sind der Meinung, dass selbstbe-
stimmte Familienplanung heute beinhaltet, sich bis
zur zwölften Woche für einen Schwangerschafts-
abbruch entscheiden zu können. Über 80 Prozent
halten es für die persönliche Entscheidung der
Schwangeren und ihr allein, ob sie die Schwan-
gerschaft fortsetzen will oder nicht. My body, my
choice – und das aus sehr guten Gründen.
(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)
Die Fachwelt liegt übrigens genau auf der gleichen
Linie. So empfahl die unabhängige Expertinnen-
und Expertenkommission, die die Regierung einge-
setzt hatte – also die Expertenkommission für re-
produktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungs-
medizin – einstimmig, dass der Gesetzgeber den
Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der
Schwangerschaft – also bis zur zwölften Woche –
mit Einwilligung der Frau erlauben sollte. Entspre-
chende Anträge liegen mittlerweile vor.
Es ist also klar: Mit der Entscheidung für bestimm-
te Parteien geht künftig auch die Entscheidung
einher, ob die essenzielle Frage der Schwanger-
schaftsabbrüche und der Selbstbestimmung der
Frauen und der Schwangeren weiterhin im Strafge-
setzbuch geregelt wird oder ob wir endlich, endlich
– wie unsere Nachbarländer in Europa – eine Neu-
regelung bekommen, die Schwangerschaftsabbrü-
che bis zur zwölften Woche entkriminalisiert.
(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)
Das ist keine kleine, unwichtige Frage,
(Dennis Gladiator CDU: Aber keine, die sich
für Wahlkampf eignet!)
sondern damit hängt zusammen, dass wir unge-
wollt Schwangeren endlich sowohl eine medizini-
sche Versorgung als auch den Zugang zu verläss-
lichen Informationen gewährleisten können. Das
ist bisher noch nicht der Fall, nicht nach der Auf-
hebung des Paragrafen 219a und auch nicht un-
bedingt in unserem Bundesland, wobei wir nicht
der größte Problemfall sind, das sind anders re-
gierte Bundesländer, in denen das in Deutschland
schwierig ist.
Für alle hier, die zwar starke Meinungen zum The-
ma haben, aber persönlich höchstens indirekt be-
troffen sind – da gibt es ja einige –, der Hinweis:
Die Strafandrohung hat weder in der Vergangen-
heit noch aktuell, weder in diesem Land noch
sonst irgendwo ungeborenes Leben geschützt. So
ist es nicht. Ich gehöre noch einer Generation an,bei der Adressen in den Niederlanden unter der
Hand kursierten. Ich erinnere die Erzählungen vom
Hantieren mit Stricknadeln, den heißen Bädern,
die konkreten Fälle, in denen Mädchen wegen
Schwangerschaft von meiner Schule verwiesen
wurden. Die dazugehörigen Väter übrigens nicht,
die durften bleiben und Abitur machen.
(Krzysztof Walczak AfD: Das ist die Reali-
tät!)
Deshalb mein Tipp: Wem es mit dem Schutz des
ungeborenen Lebens ernst ist, sollte sich besser
mit der Situation Alleinerziehender – immer noch
fast nur Frauen –, den Müttern und Erziehenden
beschäftigen und daraus Forderungen ableiten
oder gleich Rot-Grün unterstützen im Bemühen um
Gleichstellung, kostenlose Verhütung, gute Betreu-
ung, Verminderung des Armutsrisikos, Schließen
des Gender-Pay- und Gender-Care-Gaps sowie
den Lücken bei Vermögen und Rente zwischen
den Geschlechtern. Wem es ernst ist, sollte uns
darin unterstützen, anstatt Fantasien vom Haus-
frauen- und Mutterdasein früherer Jahrhunderte,
wie es bisweilen vonseiten der AfD schon gekom-
men ist, zu pflegen.
(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN –
Dirk Nockemann AfD: Das war aber zu billig
jetzt!)
Ich erinnere da an eine Abgeordnete der AfD, die
sehr wohl solche Thesen von diesem Pult verkün-
det hat.
(Dirk Nockemann AfD: Die ist aber jetzt nicht
mehr da!)
– Sie haben sie aber nicht deshalb aus Ihrer Frakti-
on entlassen, oder?
Damit wäre dann übrigens auch gleich etwas zur
Entlastung der angespannten Situation auf dem
Fachkräftemarkt getan.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen: Es gibt
natürlich auch Schwangerschaften, die aus Verge-
waltigungen resultieren. Ich weiß, zum Thema Ge-
walt gegen Frauen kommen wir später noch, trotz-
dem gehört es für mich in den gleichen Kontext.
Werte Abgeordnete, machen wir uns nichts vor:
Wir sind nicht in Amerika – das ist gut so –, wir
haben keinen Trump in Sicht, und von einigen
Personen von ganz rechts will ich jetzt gar nicht
anfangen zu reden, aber auch mit Männern wie
Merz an der Spitze – das entnehme ich jedenfalls
den Äußerungen, die zuletzt getan wurden – stün-
den all diese lang überfälligen Vorhaben auf der
Kippe. Wer keinen Backlash will: Augen auf bei der
Wahl. – Vielen Dank.'