Aktualisiert: 30.01.2012
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 19. Wahlperiode - 43. Sitzung am 10. Dezember 2009
– Genau.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute ist der internationale Tag der Menschenrechte, denn vor 61 Jahren hat die Generalversammlung der UN, der United Nations, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Das passt ganz ausgezeichnet. Dort heißt es nämlich in Artikel 3 – Artikel 3 scheint immer ein guter Platz zu sein –:
"Everyone has the right to life, liberty and security of person."
(Beifall bei Rolf Reincke CDU)
Keine Angst, ich übersetze es Ihnen auch gleich, aber ich wollte es Ihnen lieber zuerst in der englischen Version vortragen, weil es in manchen Übersetzungen einfach heißt: Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der eigenen Person. Ich möchte das natürlich gerne so übersetzt haben, dass da steht, jeder und jede hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der eigenen Person.
(Beifall bei der SPD, der GAL, der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)
Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass wir uns alle, wie wir hier sitzen, egal, welcher Fraktion wir angehören, dem auch tatsächlich verpflichtet fühlen. Heute geht es mir jedoch um die Frage, inwieweit in dieser Stadt derzeit die fundamentalen Rechte auf Leben, Freiheit und Sicherheit all jener Frauen sichergestellt sind, die zu Hause Gewalt ausgesetzt oder von Gewalt bedroht sind. Die Situation in den Hamburger Frauenhäusern ist unseren Informationen nach nämlich dermaßen angespannt, dass aus unserer Sicht dringender Handlungsbedarf besteht. Einen entsprechenden Antrag haben wir vorgelegt.
Lassen Sie mich das kurz ausführen. Der Senat hat uns wiederholt versichert, die Kapazitäten in den Frauenhäusern reichten aus. Ist das so? Ich habe da mittlerweile starke Zweifel. Im Jahr 2004 waren es beispielsweise noch 35 Frauen, die zur Aufnahme in Frauenhäuser außerhalb Hamburgs verwiesen wurden, weil in der aktuellen Notsituation, in der sie sich befanden, keines der Hamburger Frauenhäuser in der Lage war, diese Frauen aufzunehmen. Im Jahr 2006 waren es schon 86 Frauen, die an Frauenhäuser außerhalb Hamburgs verwiesen wurden, und im Jahr 2008 waren es 169 Frauen, die zur Aufnahme in Frauenhäuser außerhalb Hamburgs verwiesen wurden, weil in der akuten Notsituation keines der Frauenhäuser in Hamburg in der Lage war, diese Frauen aufzunehmen. Das hat dazu geführt, dass bei Beratungsstellen wie Patchwork mittlerweile schon der Eindruck entstanden ist, es sei zwecklos beziehungsweise geradezu unverantwortlich, Frauen an die Hamburger Frauenhäuser zu verweisen, weil diese chronisch voll beziehungsweise – darauf komme ich später noch zurück – übervoll sind. Meine Damen und Herren, so geht es nicht. Erstens: Es ist natürlich sinnvoll, wenn Frauenhäuser über die Landesgrenzen hinweg kooperieren, solange sichergestellt ist, dass dadurch nicht weitere bürokratische Hürden, zum Beispiel durch unterschiedliche Finanzierungsmodelle, Aufnahmebedingungen oder Ähnliches, entstehen. Aber lassen Sie uns nicht vergessen, dass davon auch Frauen betroffen sein können, die zum Beispiel ihren Arbeitsplatz in Hamburg haben und ihn eigentlich auch gerne behalten würden. Betroffen sein können auch Kinder, die ihre gewohnten Kitas und Horte nicht mehr aufsuchen können, eventuell die Schule wechseln müssen und ihre Freunde verlieren in einer Zeit, die sie als traumatisch erleben dürften. Wie sich die Lage in der Hinsicht im Detail darstellt, muss aus unserer Sicht dringend einmal geklärt werden.
(Beifall bei der SPD)
Zweitens: Die Frauenhäuser selbst wollen keine Frauen abweisen, die sich in einer bisweilen akut lebensbedrohlichen Lage befinden, auch dann nicht, wenn die Häuser eigentlich voll belegt sind. In solchen Fällen kommt es zu Notunterbringungen in Gemeinschaftsräumen, also zum Beispiel auf dem Sofa im allgemeinen Wohnzimmer des Hauses, auf Notbetten oder wo immer Platz ist. Wir haben neulich zum Beispiel über einen Anspruch auf Einzelbettunterbringung im Pflegebereich diskutiert. Hier reden wir über die angemessene Unterbringung von häufig traumatisierten Frauen und ihren Kindern in psychisch stark belastenden Situationen und wir bieten ihnen bisweilen Notmatratzen in irgendeiner Ecke oder unter der Treppe an. Auch das geht aus unserer Sicht nicht. (Beifall bei der SPD)
Nun diskutiert dieses Haus nicht zum ersten Mal über Frauenhäuser. Deshalb habe ich noch einmal nachgelesen, wie die letzten Debatten dazu denn so gelaufen sind,
(Olaf Ohlsen CDU: Prima!)
und versuche, etwas vorzubauen. Zum Beispiel lautete in einer der letzten Debatten die Begründung der CDU-Fraktion dafür, die Plätze nicht aus, sondern abzubauen – diese Begründung ist in den entsprechenden Kreisen natürlich legendär –, dass, wenn wir noch zehn Frauenhäuser dazubekämen, wir diese auch problemlos füllen könnten. Die Konsequenz, die damals von der CDU-Fraktion daraus gezogen wurde, war, es dann erst gar nicht zu versuchen.
(Olaf Ohlsen CDU: Das ist ja unglaublich! – Gegenruf von Ingo Egloff SPD: Sie sagen es, Herr Kollege!)
Ich halte das natürlich für die falsche Konsequenz in so einer Situation.
Wenn es hier Frauen gibt, denen wir keinen Schutz bieten können, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie den in Zukunft bekommen. Ich habe auch nachgelesen, dass die geschätzte Kollegin Koop damals ganz zuversichtlich war,
(Dirk Kienscherf SPD: Das kennt man gar nicht von ihr!)
dass sie den Bedarf durch entsprechende Maßnahmen zum Beispiel im Bereich Gewaltprävention, Täterarbeit und so weiter senken könne. Aber der Bedarf ist immer noch sehr hoch und höher, als wir Plätze vorrätig haben. Die letzten acht Regierungsjahre der CDU haben zumindest noch nicht gereicht, den Bedarf zu senken.
Wie Sie wissen, ist seit Juni 2009 auch in dieser Sache noch ein Antrag meiner Fraktion im Sozialausschuss anhängig. Wir fordern einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und wir haben unsere Forderungen mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Insofern sind wir natürlich Ihrer Meinung: Es kann nicht nur darum gehen, die Frauenhäuser weiter auszubauen, das alleine reicht nicht. Aber ausreichenden unmittelbaren Schutz für Frauen in Not zu gewähren, ist allerdings aus unserer Sicht die Grundbedingung für alles Weitere.
Wenn wir hier eine derartig dramatische Situation haben, wie sie sich jetzt abzeichnet, dann ist es die Verpflichtung des Senats, zu handeln und die Frauenhäuser vor dem Kollaps zu bewahren. Die Verletzung der grundlegenden Rechte von Frauen ist in allen Gesellschaften immer noch ein Problem. Deshalb dürfen Hamburg und der Senat an diesem Punkt nicht zögern zu handeln. Frauenhäuser, die wegen permanenter Überfüllung nicht mehr als möglicher Zufluchtsort zur Verfügung stehen, beschädigen nämlich das Vertrauen in das Schutzversprechen, das wir als Stadt den Frauen wiederum schulden.
(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)
In Hamburg gibt es für eine Bevölkerung von 1,8 Millionen 194 Frauenhausplätze. 235 wären es nach der Empfehlung des Europarats; diese Empfehlung wurde übrigens auch im Bundestag bei der letzten Behandlung dieses Themas aufgegriffen. Das heißt also, nach diesen Berechnungen fehlten in Hamburg 41 Frauenhausplätze. Deshalb kann bisher auch kaum angemessen berücksichtigt werden, dass Frauen zum Beispiel barrierefreie Unterbringung benötigen oder in Begleitung ihrer Kinder, bisweilen auch ihrer Söhne, Unterbringung benötigen. Wir haben derzeit auch da nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen. Es kann zum Beispiel auch nicht berücksichtigt werden, dass seit der Auflösung entsprechender Unterbringungsmöglichkeiten von KOOFRA, der Koordinierungsstelle in Hamburg gegen Frauenhandel, auch tief traumatisierte Frauen aus der ganzen Welt in den Frauenhäusern untergebracht werden, Frauen mit Kindern in einem Zimmer mit Frauen, die ihre Kinder seit Jahren nicht mehr gesehen haben und deren Kinder quasi als Geiseln gehalten werden, um die Frauen als Opfer sexueller Ausbeutung gefügig zu halten. Das sind Zustände, die wir uns nicht einfach anschauen sollten, sondern wir sollten uns bemühen, Abhilfe zu schaffen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ich erwähne die Unterbringung von Frauen, die bei KOOFRA registriert sind, unter anderem deshalb, weil auch die Fälle von Frauenhandel im Jahr 2009 dramatisch gestiegen sind. Bereits im ersten Halbjahr 2009 hatten wir so viele Fälle registriert wie im gesamten Jahr 2008. Auf diese Entwicklung war die Hamburger Situation einfach nicht eingerichtet. Das Hamburger Frauenhaussystem hat dieses nicht gut verkraftet.
Zu Ihrer Erinnerung: Eine psychologische Betreuung vor Ort in den Frauenhäusern wird vom Senat schon seit Längerem nicht mehr finanziert und kann nur deshalb punktuell aufrechterhalten werden, weil die Mitarbeiterinnen in diesen Häusern, die eine entsprechende Ausbildung haben, auf eine adäquate Entlohnung verzichten und sozusagen auf ganz anderen Stellen arbeiten. Diese häufig überqualifizierten und zu wenig Lohn arbeitenden Frauen müssen sich dann übrigens auch noch von Menschen wie Herrn Amendt – Sie erinnern sich vielleicht, das ist der, der vor Kurzem die Frauenhäuser als Hort der Indoktrination gegen Männer schließen lassen wollte – vorwerfen lassen, sie seien Laienselbsthilfeanbieterinnen. Das ist aus meiner Sicht natürlich der absolute Gipfel. (Beifall bei der SPD und bei Nebahat Güclü GAL)
Angesichts dieser Situation müssen wir uns tatsächlich mit den Standards in den Einrichtungen befassen. Wir fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und GAL, deshalb auf, jetzt nicht auf statistische Finessen der Bedarfskalkulation auszuweichen, wie wir das schon öfter, auch in der entsprechenden Situation im Ausschuss, hatten, sondern zu handeln, bevor der Schaden noch größer wird. Wie ich höre, wollen Sie einer Überweisung zustimmen. Das würde mich natürlich freuen, das wäre sehr gut. Wir dürfen die Sache nur nicht allzu lange liegen lassen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.