Aktualisiert: 30.01.2012
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 19. Wahlperiode - 62. Sitzung am 29. September 2010
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich wirklich sehr für die Kollegin von der CDU, dass sie heute Abend einmal auf so große Zustimmung aus den eigenen Reihen getroffen ist, denn das ist bei dieser Thematik ein seltenes Ereignis.
(Frank Schira CDU: Das ist Ihr gepflegtes Vorurteil!)
Frau Koop, Sie haben davon gesprochen, dass bei der Lohndifferenz von 25 Prozent die Rede sei, aber eigentlich seien es nur 12 Prozent. Das ist jedoch die Sicht des Vertreters des Unternehmensverbandes Nord. Der hat eine eigene Studie in Auftrag gegeben und so lange gerechnet, bis man bei 12 Prozent angelangt war. Aber Sie wissen sehr wohl, dass die offiziellen internationalen und europäischen Studien davon sprechen, dass in Deutschland im Durchschnitt die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern bei 23 Prozent liegt – wohlgemerkt, im Durchschnitt. Dies bedeutet, dass in manchen Fällen diese Differenz bei gleicher Arbeit noch sehr viel größer ist als 23 Prozent.
Ich komme zum eigentlichen Punkt, zur Europäischen Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene. Diese Charta ist eine sehr gute Sache. Die SPD-Fraktion ist ebenfalls dafür, dass Hamburg sie unterzeichnet. Ich habe mich etwas gewundert, denn diese Charta ist tatsächlich ausgearbeitet worden vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas, wo Hamburg gar nicht vertreten ist. Es wäre eine Überlegung wert gewesen, wieso das nicht so ist. Es wird natürlich aus folgendem Grund ein bisschen merkwürdig aussehen. Es haben bisher 19 deutsche Städte unterzeichnet, unter anderem für Gleichstellung so herausragende und bekannte Beispiele wie Gersdorf, Plettenburg oder Westerstede. Aber immerhin ist Duisburg hier als größte Stadt aufgeführt, sie hat immerhin schon fast 500 000 Einwohner. Wenn nun Hamburg endlich das Niveau von Gersdorf im Bereich der Gleichstellung erreichen wird, bin ich wirklich froh und unterstütze dieses Vorhaben. (Beifall bei der SPD)
Ich greife drei Punkte heraus, die mir an dieser gleichstellungspolitischen Selbstverpflichtung inhaltlich besonders gut gefallen. Das ist zum einen der Punkt der Verbindlichkeit. In der Charta heißt es unter anderem, lokale und regionale Regierungen müssten Aktionspläne und Programme zur Gleichstellung erarbeiten und mit den Finanzmitteln und Humanressourcen ausstatten, die für ihre Umsetzung erforderlich seien. Es steht dort ausdrücklich, dass sie diese Ausstattung leisten müssten, egal, ob europäische Mittel dafür freigesetzt werden oder nicht. Ich bin gespannt, was in Hamburg in dieser Richtung in die Wege geleitet werden wird. Ich habe allerdings sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass es die Charta erlaubt, dass man sich zwei Jahre Zeit lässt; Nachtigall, ick hör dir trapsen. Da ist der Zeitpunkt wirklich gut gewählt, denn wenn Sie alles noch ein bisschen schleifen lassen, dann sind Sie später gar nicht mehr in der Pflicht, irgendetwas umzusetzen. Wir werden aber immer wieder nachfragen, wie weit Sie gekommen sind.
(Glocke)
Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend): Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, Frau Dobusch.
Ich möchte auch für Frau Dobusch die Gelegenheit wahrnehmen, Sie um etwas mehr Ruhe zu bitten. – Vielen Dank.
Gabi Dobusch (fortfahrend): – Danke schön. Was mir als zweiter Punkt an dieser Charta gut gefällt, ist der europäische Charakter, auf den schon hingewiesen wurde, denn wie alle sehr wohl wissen, die mit der Materie vertraut sind, ist Europa in puncto Gleichstellung immer eine gute Adresse. Ich gebe eine kleine Anregung. Wenn wir in Zukunft Programme ausarbeiten, unter anderem mit unseren Partnerstädten, wäre es eine gute Gelegenheit zu zeigen, wie wichtig Hamburg dieser Punkt Gleichstellung ist. Man könnte dies in die offiziellen Programme mit aufnehmen und einmal schauen, ob Hamburg nicht auch noch über andere Fragen mit den Partnerstädten diskutieren kann als über Wirtschaftsthemen; dies nur als kleine Anregung.
Dritter Punkt: Es heißt in der Charta unter anderem, dass die Geschlechterperspektive in der Gestaltung von Politik, Methoden und Instrumenten berücksichtigt werden müsse, die das tägliche Leben der Bevölkerung beeinflussten, etwa durch den Einsatz von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting. Ich habe eben schon von Frau Koop dieses Wort Mainstreaming noch einmal gehört. Es ist wirklich eine Sternstunde, wenn auch aus den Reihen der CDU und überhaupt in diesem Parlament so ein erst seit Jahrzehnten international gebräuchlicher Begriff fallen darf, ohne dass es gleich Bemerkungen darüber gibt, was das schon wieder für eine komische Sache sei.
Meine Damen und Herren! In puncto Gender Mainstreaming und Gender Budgeting hat Hamburg, vorsichtig formuliert, noch viel Arbeit vor sich. Ich hoffe also, dass die Unterzeichnung dieser Selbstverpflichtung dann auch in Handeln umschlägt. Herr Senator, ich sehe Sie gerade dort sitzen. Hatten Sie nicht einmal zum Thema Gender Budgeting gesagt, dass die Justizbehörde beispielgebend vorangehen würde in puncto eigener Haushaltsangelegenheiten? Ich bin sehr gespannt, was Sie in dieser Hinsicht vorlegen werden. Wenn es nicht nur ein Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" würde, sondern tatsächliches Regierungshandeln, dann würde ich mich sehr freuen.
Das führt mich zu meiner letzten Anmerkung. Die Unterzeichnung der Charta kann nämlich fehlenden politischen Willen in Hamburg nicht ersetzen. Ich hatte schon einmal darauf hingewiesen, dass sich die Finanzbehörde bei meinen Nachfragen vorsichtig dahingehend äußerte, dass dies politisch gewollt sein müsse, dann sei vieles möglich. Aber bisher ist es das noch nicht. Ich wage immer noch zu bezweifeln, dass dieser politische Wille bei Schwarz-Grün wirklich vorhanden ist. Ich wage zu bezweifeln, dass es über ein reines Lippenbekenntnis hinausgeht.
Ich habe sehr genau der Regierungserklärung zugehört. Ließ die Regierungserklärung des neuen Bürgermeisters aus Ihrer Sicht erkennen, dass Hamburg ein besonderes Engagement in der Frage von Gender Mainstreaming und Gleichstellung plant? Ich kann mich an keinen Punkt erinnern, in dem er darauf verwiesen hat oder erkennen ließ, dass er auch für die Bürgerinnen dieser Stadt etwas zu tun gedenkt. Wer wird denn eigentlich diese Charta unterzeichnen, wird das der Erste Bürgermeister sein
(Ingo Egloff SPD: Das macht die Frau vom Ersten Bürgermeister!)
oder wird aus Glaubwürdigkeitsgründen dann vielleicht doch Anderes geschickt? Ich bin gespannt, wie das Ganze über die Bühne gehen wird. Noch einmal an die Adresse von Senator Steffen gerichtet: Es ist noch gar nicht so lange her, zwei oder drei Wochen, dass sich Schwarz-Grün überhaupt nicht gescheut hat, fortschrittliche wegweisende Anträge meiner Fraktion und der Fraktion der LINKEN zum Thema Gleichstellung im diskutierenden Ausschuss radikal weichzuwaschen, nachdem sie über viele Monate verschleppt und verschoben worden sind. Was wir schließlich bekommen haben, ist eine absolut unverbindliche, windelweiche Aufforderung zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit, ein reines Lippenbekenntnis ohne jegliche Verbindlichkeit. Das ist furchtbar und jedenfalls nicht im Sinne der Frauen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ich bin auch gespannt, was dem Senat jetzt noch zum Artikel 16 der Charta einfällt; vielleicht haben Sie es gelesen. Es geht im Artikel 16 um den Punkt der Gleichstellung und Kinderbetreuung. Dort wird alles Mögliche vorgeschlagen und gefordert. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass die letzte Erhöhung der Beiträge, wie wir sie in Hamburg hatten, nicht zur Förderung echter Gleichstellung beigetragen hat. Viele Paare haben sich nämlich ausgerechnet, dass es für sie finanziell sehr viel besser aussieht, wenn die Mütter – es sind doch meistens wieder die Mütter, die Frauen – jetzt weniger arbeiten, um diesen finanziellen Verlust auszugleichen. Damit sind wir wieder beim Punkt Rente. Die Frauen reduzieren ihre Arbeit und werden wieder mit den kleineren Renten nach Hause gehen. Das ist die direkte Folge dieser wunderbaren Politik in puncto Kinderbetreuung, auf die Sie sonst immer so stolz sind. Hier sollten Sie einmal genauer hinschauen.
Ich bin auch sehr gespannt, wie die Forderung dieser Charta dann umgesetzt wird. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass der Senat die politischen Parteien auffordern wird, alle gesetzlich zulässigen Schritte zu unternehmen – wozu, falls erforderlich, auch Quotenregelungen zählen –, um die Anzahl von Kandidatinnen bei Wahlen zu erhöhen. Es gibt hier noch viele weitere Vorschläge zu diesem Thema. Ich bin gespannt, wie der Senat das bewerkstelligen wird und was meine Fraktion und meine Partei dann erreichen wird. – Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)